Montag, 26. November 2012

Venedig


Ich war einmal in Venedig, wie, so fühlte es sich dort jedenfalls an, alle anderen Menschen auf diesem Planeten auch. Und wie jeder Mensch, der jemals dort war, habe ich mich an der Stadt abgearbeitet, habe mich verlaufen, bin unter- und wieder aufgetaucht, und irgendwann begannen die Kanäle zu stinken. Außerdem habe ich mir den Titel von den Bright Eyes ausgeborgt, weil ich dachte, wenn ich schon klaue, dann klaue ich wenigstens von den Besten.

Der folgende Text ist zum ersten Mal in dem Buch Germany's Text Topmodel, dem zweiten Album der unvergleichlichen literarischen Boygroup Text, Drugs and Rock'n'Roll erschienen, deren Mitglieder mittlerweile alle mehr oder weniger erfolgreiche Solokarrieren eingeschlagen haben - was uns allerdings nicht an dem ein oder anderen großen Reunion-Gig hindert.



Wir sind Nirgends, und es ist jetzt

Notizen aus Venedig

„Venedig ist eine sonderbare, eine knifflige Stadt, und von irgendeinem Punkt nach irgendeinem anderen gegebenen Punkt zu gelangen, ist amüsanter als Kreuzworträtsel lösen.“
- Ernest Hemingway 



Bild von hier
Der Soundtrack zu Venedig sind die Bright Eyes, I’m staring out into that vaccuum again,  was da vor uns liegt, was wir da belagern. Belagern ist das richtige Wort, wir in unseren Zelten und Wagen, mit unserem Proviant und Gepäck, und drüben kann man es sehen, hier, von unserer Festung auf dem Festland, da hinter der verdreckten Lagune, man kann die Kirche sehen,  die ganze Filmkulisse, Fähren, Boote fahren vorbei und Venedig liegt da einfach so rum. Lagert uns direkt gegenüber.  Schaut uns aus zusammengekniffenen Augen an. Atmet aus. Riecht nach fauligem Meer. Venedig liegt da, noch ein gutes Stück vor dem Horizont, ganz immun gegen die Streusterne, die wir auf die Karte werfen, ganz  stoisch ist es, ganz Legende. Schaut uns aus zusammengekniffenen Augen an. Ich schaue böse zurück.

Nichts, was nicht schon beschrieben worden ist. Nichts, was nicht schon fotografiert worden ist. Nichts, was nicht schon verschickt, gezeigt, gedruckt oder erzählt worden ist. Da liegt Venedig. Leererzählt. Leergedacht. Da liegt diese Filmkulisse, du willst über mich schreiben, vergiss es, geh doch Tauben füttern auf dem Markusplatz.  Über Venedig kann man nicht schreiben. Es erinnert an all die anderen, die vor einem da waren. Wie eine  offene Schachtel Kondome. Man könnte auch alles vergessen, was die Leute jemals über Venedig geschrieben haben, und einfach sagen: Venedig fühlt sich an, wie ein trauriges Lied klingt, sagen wir, vielleicht doch nicht die Bright Eyes, sagen wir, Coldplay. Schwer zu sagen, welches Lied, aber meine traurigste Coldplay-Playlist bringt L. zum Weinen, ich habe das gesehen. Golden und sexy, sage ich zu L., so traurig ist Venedig. 


Wir fuhren fort an einem Tag, der so grau war, an dessen Anfang sich die Wolken schon so hoch türmten, als würden sie diesen ganzen grauen Juli  auf einmal auftürmen wollen, dieser Juli, in dem Beschwerden über das Wetter erst zu einem Running Gag wurden und dann nervig und sich am Ende niemand mehr über das Wetter beschweren durfte, an diesem Tag, der schlimmer war als der ganze Juli und der ganze November zusammengenommen, an diesem Tag fuhren wir fort. Weil wir es konnten. Weil nicht viel kostete. Weil wir nicht nur das Wetter hinter uns lassen wollten, sondern auch uns selbst, wie wir in einem Zimmer saßen, Tee tranken, Schach spielten und ganze Staffeln irgendwelcher Serien auf einem kleinen Laptopbildschirm anschauten.  Ich trug meinen Kopf unten. 

L. sagt, natürlich ist es eine traurige Stadt, eine gute Stadt für Regen, und eine fröhliche, auch gut für Sonne,  beides gleichzeitig, gerade regnet es, die abgelaufenen Steine werden glitschig, und die Straßenhändler haben ihr Angebot an Regenponchos und Schirmen rausgeholt,  L. hält sich in ihren dünnen Sandälchen an meinem Arm fest, wenn wir die Straßen entlanggehen, und die Regentropfen ziehen diese Ringe in die Kanäle, alles riecht noch mehr nach vergammeltem Meer. Wir halten eine taktische Konferenz ab. Wir beugen uns nicht nur über eine Karte, wir beugen uns über Kartenmaterial. Jener Platz, diese Brücke müssen genommen, müssten erobert werden. 

 Zu Fuß durch die Stadt gehen, sagt L., das ist nicht so einfach. Wir versuchen es trotz allem. Wir versuchen, Venedig zu erobern. L. sagt, da, diese Säule, mit dem geflügelten Löwen, die sei berühmt, natürlich, natürlich ist sie berühmt,  Venedig kann man kennen, ohne es je betreten zu haben,  ich habe ein schwarz-weißes Bild im Kopf von jemandem, der auf diese Säule zuläuft, nein, auf jemand anderen, jemand anderem in die Arme und Tauben fliegen auf,  die Frage ist jetzt nicht, in welchem Film das war, sondern wie sie es geschafft haben, den Platz so lange frei von Menschen zu halten, dass sie die Szene drehen konnten. 

L. sagt, die Gondeln sehen traurig aus, sie tun das mit einer Art silbernen Klinge vorne dran, und sie sind schwarz, im Reiseführer steht, das ist so, weil ein venezianischer Herrscher verhindern wollte, dass die reichen Venezianer mit ihren Gondeln so rumprunken, jetzt sind sie alle schwarz, jaja, die Gondeln tragen Trauer,  was aber dem Gondoliere egal ist, der es durch die Drecksuppe von Canale Grande stakst,  nachts , alles malerisch beleuchtet,  von rosa Laternen, L. sagt, die sind auch berühmt, es gibt in dieser Stadt nichts, was nicht berühmt ist, sage ich,  in der Gondel sitzen zwei Paare, das eine vielleicht die Schwiegereltern des anderen, jeder hat seine eigene Digitalkamera dabei, und sie fotografieren sich dabei, wie sie sich gegenseitig fotografieren, Wenigstens unter der Brücke, sage ich zu L., wenigstens da hätten sie sich doch küssen müssen, Wahrscheinlich haben sie für die Fahrt zuviel bezahlt um ihre Zeit damit zu vergeuden.

Es geht nicht. Nicht von hinten über den endlosen Damm, nicht von vorne mit einem Boot, nicht diese Brücke, nicht jener Platz, so leicht lässt Venedig sich nicht nehmen, weil das alles schon längst genommen worden ist, schon tausendfach abgeschossen, schon tausendfach erobert mit Kameras, und man fragt sich, wie die Stadt überhaupt noch leuchten kann, wenn alle ihr das Licht klauen und es auf  Filmen mit nach Hause nehmen. 

An dem Platz darf man nicht mehr picknicken, das stand als Schlagzeile in irgendeiner Zeitung die wir am Ufer irgendeines Kanales gefunden haben, Carabinieri patroullieren und überwachen das Verbot. Die Cafés an dem Platz, sagt L., sind auch berühmt, weil sie ganz vorne mitspielen bei den teuersten Espresso Ausschenkern der Welt. Bei einem der Cafés, man muss sich erst duch Jazzmusiker und Touristen wühlen, die die fünf-Euro-Espressos tatsächlich trinken, hängt ein verblichenes Foto im Schaufenster, Platz von oben, und die Tauben formen den Schriftzug Coca-Cola, ja, das stimmt tatsächlich. Das haben sie hinbekommen mit Mais. Mais kostet ein Euro pro kleine Packung, und das Ritual geht so, dass man Maiskörner kauft, sie dann auf die Hände oder auf den Kopf legt, und dann muss man ganz still stehen, dann kommen die Tauben, dann lacht man, während jemand anders einen mit einer Taube auf dem Händen oder auf dem Kopf  fotografiert. Die Leute gehen dem mit wirklich ehrwürdiger Andacht nach.  Ich sage, das ist Mekka, hinfahren, und nach tagelangem Gedrängel hast du dem Brauch genüge getan, kannst wieder nach Hause fahren und deinen Enkeln davon erzählen. 

Lass den Pöbel doch die Tauben füttern, es wird auch wieder warm und wir kennen die Tricks, wir gehen nicht mehr den gelb gefärbten Schildern lang, auf denen Piazzale Roma steht oder per Rialto/San Marco, von diesen Wegen biegen wir einfach schnell ab, lassen die Karte Karte sein. Ständig stoßen wir auf irgendeinen Ufer irgendeines Kanales, diese Kanäle, wenn man versucht von irgendwo nach irgendwo anders zu laufen, Kanäle ohne Brücken aber viele Kirchen, und vom Boot aus flattern die venzianischen Farben, man bräuchte ein Boot, ein eigenes weisses Boot, es gibt sie auch in rosa, dann bräuchte man eine Wohnung, eine mit Romeo und Julia Balkon.

In den Souvenirläden gibt es Masken zu kaufen, die mal bunt sind und mal schwarz, die es auch mit Glitzer gibt, die aussehen wie Power-Rangers-Merchandise. Im Moment wohl eher die schwarze Maske:  Tagelang laufen wir jetzt schon durch die Stadt, vielleicht auch wochenlang, es soll einen Romeo-und Julia-Balkon geben, aber bis jetzt haben wir ihn noch nicht gefunden.  Vielleicht macht das alles, diese ganzen Brücken, Kanäle, Kirchen, Plätze, überhaupt die ganze Stadtarchitektur mehr Sinn wenn man Historiker ist.  Entweder, sage ich, nimmst du eine gute Karte mit, oder gar keine.  Entweder findest du wieder  raus, oder du bleibst eben für immer weg, was soll’s. 

Kleine Cafés gibt es auch im Dutzend billiger, und eines liegt am Piazza del Tedeschi, L. Findet das lustig, und abends, meinen wir, muss man vor dem Essen noch was trinken, was ist denn dieses bunte Zeug, dass die anderen hier trinken?, fragt L. den Menschen, der mit einem Tablett um die Tische umherwieselt, und er sagt Spritz, wir möchten eines, Ich nehme es in bitterorange und L. in süßrot.

Ich schnippe eine Zigarette in die Lagune und frage mich,  ob sie eigentlich einen Namen hat, wahrscheinlich heisst sie nur die Lagune,  heute weht der Wind weg von der Stadt, es stinkt weniger. Ist das der Ort, von dem ich geträumt habe? Nein, eigentlich will nichts damit zu tun haben, mit diesen ganzen Leuten, die auch davon träumen, ich kann die Träume anderer nicht gebrauchen, ich will meine eigenen. Der graue Himmel riecht bitter.

L. faltet die Karte auseinander, dreht sie, dreht sich, Wo sind wir?, fragt sie,  Wir sind nirgends, sage ich, wir sind nirgends und es ist jetzt.

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