Montag, 21. Januar 2013

Vom Rand der Tanzfläche

Im letzten Sommer wurde ich gebeten, für die Absolventenzeitschrift der kulturwissenschaftlichen Studiengänge der Universität Hildesheim einen kleinen Text zu schreiben.  Ich dachte: Schön, Texte schreiben, das kann ich. Ich mag Texte schreiben. 
Außerdem verdanke ich der Uni eine Menge, und habe wenig davon zurückgegeben. Außerdem gab es, was mich etwas überraschte, tatsächlich auch Honorar. Alles passte zusammen. So lange, bis ich das Thema erfuhr: Netzwerke. 
Die - klar - wichtig sind, vor allem wenn man in diesem irgendwas-mit-Medien-Berufsfeld arbeitet. Aber das ist weder mein Thema, noch meine Stärke, noch irgendetwas anderes. Ich nahm es trotzdem in Angriff, und versuchte, meine Schwächen durch einen charmanten, plaudrigen Ton wieder wett zu machen, und mich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Ich habe beim Schreiben in bisschen was gelernt. Das reicht mir eigentlich schon. Vielleicht ja auch noch jemand anders. Wer weiß.
Im Originallayout kann man ihn übrigens hier lesen. 


Knüpfstücke
Lose Ideen zu alten und neuen Netzwerken


Wir sind alle nur aus Knoten gemacht.
Bild von hier.
Manchmal bekomme ich Facebook-Nachrichten, in denen Leute Unmögliches von mir verlangen. So was wie: „Wir bräuchten noch einen Text über Netzwerke. 10.000 Zeichen. Du hast vier Wochen, das ist doch ok, oder? “
Ich dachte: Netzwerke. An sich. Das stemmt doch kein Mensch.
Und ich dachte: Warum ich? Ich bin nicht gut darin, gesehen zu werden. Ich stehe meistens am Rand der Tanzfläche, mit einer Flasche Beck's in der Hand. Da suchen die meisten Leute nicht nach mir, die meisten Leute suchen dort nach gar nichts. Netzwerken ist mir suspekt. Menschen sind mir suspekt.
Dann aber kam eine zweite Facebook-Nachricht dazu, zehn Minuten später. In der Nachricht stand etwas von einem Honorar. Da dachte ich: Es ist eine Herausforderung. Vor denen habe ich mich noch nie gedrückt.
Und ich dachte: Ich bin auch gut darin, bei diesen Gelegenheiten, wo ich mit einem Beck's in der Hand am Rand der Tanzfläche stehe, als letzter zu gehen.
Aber dazu später.



Der Ort spielt keine Rolle

Ich weiß nicht, was ein Netzwerk ist. Ich weiß, dass es – in dem Sinn, in dem ich es hier brauche – ein Knüpfstück aus Verbindungen zwischen Menschen ist, mit Verbindungen, mit Knoten, locker, ohne Hierarchien. Ein selbst organisierendes Knüpfstück aus Menschen, die sich grundsätzlich nicht wirklich unsympathisch sind, die sich gegenseitig Vorteile verschaffen, die sich Arbeit zuschanzen, die sich gegenseitig als Verteiler nutzen. Verbindungen zwischen Menschen, also die für den einzelnen leisten, was der einzelne alleine nicht kann, oder die eine vorübergehende Gemeinschaft bilden.
Mir wurde in dem Zusammenhang ein Forscher namens Peter Kruse empfohlen, ein Psychologe, der zur Theorie dynamischer Systeme forscht. Er ist Zukunftsforscher, tourt mit komplizierten Diagrammen im Gepäck über Tagungen und erntet dort mit seinen Vorträgen immer frenetischenApplaus. Zuallererst aber ist er ein bärtiger, sehr freundlich wirkender Mann, der mir mit einem Problem weiterhalf, das ich mit mir herumschleppte, seit ich die Herausforderung dieses Textes angenommen hatte: Wie das alles kleiner machen, verdaubar, beschreibbar? Über welche Sorte Netzwerk schreiben? Diejenige, die man knüpft, wenn man tatsächlich irgendwo ist? Das Netzwerk, dessen Basis halberinnerte Unterhaltungen auf Vernissagen, Premieren, Lesungen, Konzerten undsoweiter sind? Oder das andere, das große, das sich ja sozusagen längst von den Körpern getrennt hat, das Netzwerk, dass in den endlosen Kabeln, Serverkisten und Funkwellen wohnt, die sich quer über Welt spannen? Nicht, dass man das wirklich trennen könnte, aber trotzdem.
Als ich einen Kruse-Votrag von allen diesen wahnwitzigen, dreidimensionalen Diagrammen entkleidet hatte, die aus genauso irrwitzigen Befragungen entstanden waren, kam es mir vor, als schaue der bärtige Mann mir tief in die Augen, und sagte: „Mein Sohn, du wirst nie die richtigen Antworten finden, wenn du die falschen Fragen stellst.“
Für die Dynamik, die Funktionsweise eines Netzwerks, für das, was es soll – Informationen zu verbreiten, Menschen miteinander zu verknüpfen - spielt es keine Rolle, wo das Netzwerk sich befindet. Die Größe spielt eine Rolle, die Frequenz und – vielleicht - die Qualität, im Sinn von: der Art der Aktivität der Mitglieder, es spielt eine Rolle, wieoft und wieviel die kleinen Knötchen zwischen ihren Verbindungen kleine Nachrichten, Ideen, kleine Datenmengen hin- und herschicken. Ob das on- oder offline oder sonstwo passiert, spielt keine Rolle. Im Prinzip.
„Aber die Revolution“, sagte der bärtige Mann, „hat schon längst begonnen.“

Netzwerkpflege publizieren

Genau so, nur mit weniger Franzosen und mehr Internet.
Bild von hier.
Was für eine Revolution eigentlich? Und das ist nicht ein zu großes Wort für alle diese bekloppten Katzenbilder? Auftritt eines zweiten, großen Netzwerk-Weisen: „Ähnlich wie vor 7000 Jahren im Anbeginn der geschriebenen Geschichte läßt die Echtzeit-Ethnie sich heute am Ufer eines großen Flusses nieder, des Livestreams“, schreibt Peter Glaser, Journalist, Schriftsteller, leidenschaftlicher Wortverdreher, hauptsächlich aber: Sammler, Archivar von Netzkultur, und damit auch von Vernetzungskultur. Und was tut sie dort, die Echtzeit-Ehtnie? Sie kommuniziert. Sie verbindet sich untereinander auf Arten, die zu viele, zu vielfältig sind, um sie aufzuzählen. Ganz einfach. „Denn Menschen interessieren sich nicht für Maschinen. Menschen interessieren sich für Menschen“, schreibt Glaser weiter. Die Revolution ist keine Revolution des Ortes – es ist eine Revolution der Partizipation. Der Masse. Der Reichweite. Eine Publikationsrevolution. Einmal, weil es einfacher geworden ist, Ideen und Anliegen mitzuteilen. Dann aber auch, weil es viel einfacher ist, das Netzwerk aufrecht zu erhalten. Denn: Ein Netzwerk braucht Pflege. Ein Netzwerk muss sich selbst immer wieder auffrischen, muss sich selbst vergewissern, dass es da ist. Man muss immer mal kleine Datenpakete durchjagen: Ein gemeinsames Glas Wein hier, ein Ausflug dort. Das gilt immer und an jedem Ort, in jeder Welt. Nur: In der eigenartig-einzigartigen Sender-Empfänger-Infrastruktur, die einschlägige Vernetzungsangebote im Internet einem bieten fällt genau das viel leichter, weil es sich nicht anfühlt wie die Arbeit, die Netzwerkpflege macht. „Im Netz sind Medien nicht mehr nur Dinge, die wir benutzen – wir leben heute in unseren Medien, auf Facebook, Twitter, in Foren und Blogs. 'Sharism' nennt der chinesische Blogger Isaac Mao, was die sozialen Medien und Communities antreibt – die Lust daran, Dinge mit anderen zu teilen,“, sagt wieder Peter Glaser.
Im Netzwerk werden Daten geteilt: Ich selbst habe schon lange aufgehört, die Leute auf meiner Facebook-Freundesliste als Freunde zu bezeichnen – ich nenne sie Publikum. Und sie mich. Wir sind Knotenpunkte in einem Knüpfstück, in dem jeder Sender und Empfänger ist, in dem jeder ständig publiziert, sein Publikum über aktuelle Entwicklungen in seinem Leben und über seine Interessen auf dem Laufenden hält, in dem er fröhlich herzeigt, was er gemacht hat, was er gefunden hat.

Magische Quadrate

Es geht gar nicht so sehr darum, dass ein Netzwerk nur im Netz existieren könnte, noch nicht einmal darum, dass sich Dinge – Bilder, Worte – nur im Internet viral verbreiten könnten. Es geht nicht darum, dass das Internet eine völlig neue Mechanik hervorgebracht hätte.
Viral, bevor es viral gab. Bild von hier.
Aus der Zeit vor der Digitalisierung, aus dem zweiten Weltkrieg herum, kennen wir den „Kilroy“, ein Bild, dass sich rasend schnell verbreitete. Aus der Zeit vor den Massenmedien - aus dem alten Pompeji - lässt sich das Sator-Quadrat anführen, ein Magisches Quadrat, das heute in ganz Europa auf Kirchen, Grabsteinen und historischen Gebäuden zu finden ist. Sie wanderten genauso durch die Netzwerke, verbreiteten sich wie heutzutage Katzenbilder oder diese leidige „Kony 2012“ Kampagne, die plötzlich an allen Ecken und Enden aufpoppte.
Es hat immer Menschen gegeben, die selbstgebasteltes – Fanzines, Flugblätter – an den Informationsfiltern der etablierten Medien vorbei durch ihre Netzwerke gejagt haben, weil sie der Meinung waren, ihr Anliegen bräuchte Aufmerksamkeit. Es hat immer Leute gegeben, die ihre Netzwerke dafür nutzen, an Jobs zu kommen, die ihre Netzwerke zu ihren eigenen Vorteil nutzen, und sich für den Vorteil anderer benutzen ließen.
Nur ist heute die Infrastruktur besser, sind die Netzwerke größer und leichter zu bedienen, ist die Verbreitung sehr viel einfacher und schneller zu bewerkstelligen.
Das interessante daran ist, dass die Netzwerke, die wir hatten, und immer noch haben, sich nicht großartig geändert haben, wenn man einmal von der Größe absieht – wir haben uns nur in sie hineinbewegt, unseren Lebensraum in sie hinein verlängert: Die Netzwerkaktivitäten sind näher an uns gewachsen, wir lagern Teile von uns – die es ohne digitale Netzwerke vielleicht gar nicht gäbe – dorthin aus.
Wir sind – das ist der Extremfall - noch dichter mit Infrastruktur zusammengewachsen. Sie ist benutzerfreundlicher geworden, das Netzwerke aus Menschen, mit denen ich verbunden bin, ist komfortabler zu handhaben. Es ist eine Infrastruktur, die genutzt werden will, und das heißt: Gefüttert. Je größer, je schneller das Netzwerk ist, desto hungriger ist es.

Aufmerksamkeit

Denn wir lassen uns ja nicht nur am Echtzeit-Strom nieder: Wir befüllen ihn. Wir sind seine Quelle. Wenn jeder ständig Sender und Empfänger ist, wenn die Netzwerke ständig da sind, dann gibt es nur eines, was sich lohnt zu generieren: Aufmerksamkeit. Die geheimnisvolle Kunst, den Strom für kurze Zeit einmal anzuhalten, das eigene Anliegen, was auch immer es sein mag, so zu präsentieren, dass es für andere Mitglieder des Netzwerks anschlussfähig ist, die geheimnisvolle Kunst, soviele Verbindungen, so viele Knötchen wie möglich zu belegen.
Der Gewinn? Ohne mein – in meinem Fall Facebook-Netzwerk - hätte ich diesen Text nie geschrieben. Ich hätte viele andere Texte nicht geschrieben, geschweige denn veröffentlicht. Ich wäre nicht demnächst Herausgeber eines wunderbaren Buches. Ich würde nicht für diese oder jene Zeitschrift oder Zeitung schreiben. Ich wüsste keine Möglichkeit, meine Prosa, meinen Journalismus, alles dazwischen irgendwo unterzubringen. Kurz gesagt: Ich wäre praktisch arbeitslos. Und umgekehrt würde ich ins Leere produzieren.
Einen letzten Rat würde ich gerne auch noch anbringen: Wer auf der Partys in der Ecke steht, und als letzter geht, wer es bleiben lässt, penetrant seine Netzwerke erweitern zu wollen, der lernt die interessanteren Leute kennen. Wirklich.

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