Montag, 24. November 2014

Relevanzbewegungen im Netz - Notizen

Letzte Woche wurde ich eingeladen, um an der Uni Hildesheim in einem Kulturpolitik-Seminar zu sprechen. Das Seminar hieß "Perlentaucher", "Nachtkritik" & Co. Kultur(politik) online und als ich die Einladung bekam, sagte ich sofort zu. Und fragte mich erst hinterher, was ich eigentlich erzählen soll. 

In der Email, die ich bekam stand:

"Die "Digital Immigrants" lesen noch das Feuilleton auf Papier. Eine neue Generation nutzt das Internet, um kulturjournalistischen Input zu generieren. Was bieten "Perlentaucher" und "Nachtkritik" für den kulturpolitischen Diskurs, wie kulturpolitisch sind "spiegel.de/kultur" und "zeit.de/kultur", was erfährt man über Kulturpolitik durch die Online-Dienste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Vier Wochen lang sollen tägliche Analysen die Grundlage bilden für Reflektion und Kritik, Interviews mit verantwortlichen Netzakteuren sollen die Auseinandersetzung vertiefen, mit den medialen Möglichkeiten, Kulturpolitik zu vermitteln. Es gilt, für die "Digital Natives" ein kulturpolitisches Kompendium zu konstruieren, das sich theoretisch und praktisch dem Phänomen der Internetkultur widmet."

Notizen übers Netz, ausgedruckt.
Bild von mir.
In einem Teil, des Seminars, soviel wusste ich, sollte es um meine Arbeit bei Nachtkritik als ein Medium gehen, dass sich einerseits sehr klassisch an Theaterkritik befasst, andererseits aber - bescheiden - die Möglichkeiten des Netzes nutzt: Es ist eben immer die erste Kritik zu einer Inszenierung. Um die Frage, wie das funktioniert, die zu besprechende Stücke ausgewählt werden (in komplizierten Mails-hin-und-her-schick-Verfahren), ob es tatsächlich fair ist, wenn eine Kritik so schnell geschrieben wird (Ja). 

Was mir auffiel war, dass das ganze Seminar sehr stark von einer Hierarchie ausging: Da oben die etablierten Kulturbesprecher, die konsumiert werden, da unten die Leute, die konsumieren. Online-Feuilleton (und, weiter gedacht: Online-Journalismus) einfach nur als Erweiterung der klassischen Papierfetzen ins Netz rein, aber ohne Mehrwert. Derselbe Kram wie im Print, nur auf einem Bildschirm. Das ging mir ein bisschen am Kern der Sache vorbei: So funktioniert, denke ich, die Bewegung nicht, mit der im Netz Debatten über Kultur(politik) geführt werden.* Das Seminar versucht, durch Beobachtung von Online-Feuilletons, zu prüfen, ob und inwieweit sich nicht schon längst neue Formen der Kulturbeobachtung / -besprechung etabliert haben, abseits  der klassischen Hierarchie - da oben die etablierten Kulturbesprecher, da unten die Konsumenten. Ist Online-Feuilleton nichts als eine Übertragung der althergebrachten Papierfetzen ins Netz ohne Mehrwert? Steckt mehr dahinter? Was? Wie lasen sich diese Formen finden und beobachten? Also dachte ich mir, für den ersten Teil des Seminars, den Teil, in dem ich diesen noch nicht existierenden Vortrag halten sollte, ein bisschen was aus (lustigerweise, während ich von einem Nachtkritik-Termin nach Hause fuhr und eigentlich etwas ganz anderes hätte tun sollen). Hier wären meine Notizen dazu:


Wichtig für die kulturpolitische Arbeit: Hören, was da ist. Wie es sich verändert.Das Ohr am Datenkabel haben. 

Wie stellt sich Relevanz her? Nachtkritik vs. Perlentaucher: Unterschiede: eigener Content vs. kuratierter Content. 

Perlentaucher ist, durch die Reichweite, die Newsletter-Abonnenten, eine Relevanz-Aggregator, Relevanz meint: Nicht inhaltlich, sondern gesellschaftliche Relevanz, Relevanz durch Masse, politische Relevanz, die sich einfach dadurch herstellt, dass viele Menschen etwas sehen, über etwas sprechen. Auch: 6 vor 9, BildBlog

Aber: Nicht alles, was die posten wird auch geteilt, angenommen, für wichtig befunden.  Relevanz stellt sich also nicht nur durch die Relevanz-Aggregatoren her. Sondern durch die User, die hängenblieben. 

Wie bewegen die sich also durchs Netz?

Kulturdebatte auf dem Second Screen: Man muss sich vielleicht mal die Situation klarmachen, in der Menschen im Netz über Kultur sprechen: Beispielsweise, wenn ich unter dem #tatort-Hahstag mittwittere, oder auf dem Sofa liege, mit dem Tablet in der Hand, oder dem Laptop auf dem Schoß. Ich setzte Meldungen darüber ab, was ich mit gerade anschaue, wie es mir gefällt, ich google gleichzeitig irgendwas anderes, ich habe 10, 15 Tabs offen. 

Das ist eine interessante Bewegung, eine neue Bewegung: Ich fliege auf dem Second Screen durch das Netz, auf der Suche nach dem nächsten Witz, dem nächsten Text, dem nächsten Bild, irgendwas, was ich verlinken kann. 
"Hyper Attention" (im Gegensatz zu Close Attention) nannte das Stephan Porombka. Wenn mir etwas auffällt, wenn etwas hängen bleibt, teile (kuratiere) ich es und rede dann irgendwo im Social Web darüber. Ich mache dieses Stück, das ich geteilt habe zu meinem - es ist ja schließlich auf meiner Profilseite, in meiner Chronik, es erscheint unter meinem Klarnamen. Ich baue einen neuen Kontext zusammen = Aneignung. 

Videovergleich, Neukontextualisiertung: https://www.youtube.com/watch?v=uHNs-63SD-k und http://vimeo.com/111206334 

So sieht die Bewegung dann aus: Scannen – Teilen – Re-Produzieren

1. Wenn wir im Netz über Kultur reden, reden wir nicht - wir remixen, nehmen kleine Dinge, bauen sie produktiv um, setzen einen neuen Mix auf den anderen, kontextualisieren neu, spielen mit dem vorgefundenen Text.

Beispiel: Grumpy Cat

2. Wenn wir im im Netz über Kultur reden, tun wir das immer auf Augenhöhe - es gibt nicht denjenigen, der produziert und denjenigen, der rezipiert. Jeder ist eine gleichberechtigte Stimme in einer kleinteiligen, ins unendliche zerfasernden unendlichen Debatte.

3. Diese Debatte ist unfassbar kleinteilig und dezentralisiert - damit aber auch unendlich variantentenreich und sie lässt den Blick weiter schweifen als eine zentralisierte Feuilletondebatte. Sie ist vielleicht nicht klüger - aber schneller und weiter.

Beispiel: Live-Twittern im Theater, kein Ersatz für die Kritik, aber etwas neues, den Blick erweiterndes. Die Debatte weiter führen, mit allen zusammen. 

Wichtig also: im Social Web das Ohr auf den Boden zu halten und zu hören, worüber gerade gesprochen wird. Unter dem Hashtag #tatort (oder sinst einem) mal mitzutwittern um zu sehen, wie das funktionieren kann. Selber mal durchs Netz zu fliegen, anfangen, Kurator, Produzent zu sein, die Facebook-Chronik, das Twitter-Profil zu einer persönlichen Presseschau auszubauen. Mitzumachen.


*korrigiert wg. Kritik aus dem Seminar per Mail. 

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